VELOSZENE SCHWEIZ 07/98

"Ich brauche Spass und Ablenkung" - Interview mit Markus Zberg

Zwischen Introvertierheit und voll von Temperament: Es ist nicht einfach, Markus Zberg zu charakterisieren. Äusserlich eher ruhig, bricht in den Wettkämpfen sein innerer Löwe aus ihm heraus. Dann wird Zberg plötzlich zum unberechenbaren Athlet. Mit dem Wechsel von der italienischen Squadra MercatoneUno zum Post Swiss Team kann der 24jähige diese Rolle als Siegfahrer endlich ausleben. Im Interview mit VELO erklärt Zberg, wie es zum Teamwechsel gekommen ist und warum er sich zum Leader geboren fühlt.

VELO: Siege in Klingnau und Bern sowie verschiedene Spitzenplazierungen in den vergangenen Wochen - sie haben sich im Post-Team offenbar gut eingelebt.

MARKUS ZBERG: Sämtliche Fahrer waren in Form, gute Resultate stellten sich ein - das ging wie ein Ruck durch die Mannschaft und wirkte sich noch zusätzlich positiv auf die Stimmung im Team aus. Für mich ein typisches Beispiel, dass Radfahren zu einem wesentlichen Teil im Kopf stattfindet. Wenn die Einstellung stimmt, fährt man mit den gleichen Beinen noch etwas besser.

VELO: War das bei Ihrer letztjährigen Mannschaft MercatoneUno anders?

ZBERG: Die Stimmung war gegen Ende des letzten Jahres auf dem Nullpunkt. Offenbar stand der Manager unter Druck der Sponsoren, den er an die Fahrer weitergab.

VELO: Wie wirkte sich das auf Sie aus?

ZBERG: Mitte vergangenen Jahres hatten wir die Weiterführung des Vertrages und den Lohn für 1998 per Handschlag vereinbart. Als es dann darum ging, den schriftlichen Vertrag zu unterzeichnen, erinnerte sich die Teamleitung plötzlich nicht mehr an die mündliche Vereinbarung. Sie wollten die Höhe des Salärs drücken. Da der Jahreswechsel kurz bevorstand, glaubten die wohl, ich käme in keinem Team mehr unter. Aber da haben sie sich getäuscht. Ich habe beim Post Swiss Team unterschrieben.

VELO: Sind Sie deshalb bei der Post wesentlich erfolgreicher als bei MercatoneUno?

ZBERG: Wenn jemand nicht zu seinem Wort steht, kann ich kein Vertrauen mehr zu ihm haben. Das war bei MercatoneUno der Fall. Zudem war ich in der italienischen Squadra als Helfer angestellt. Dabei wurde ich nie das Gefühl los, dass die Teamleitung kein Vertrauen in mich hat. In den Rennen wusste ich oft nicht, ob ich meine eigene Chance wahrnehmen durfte oder ob ich in erster Linie helfen solle. Das ist im Post-Team anders. Es herrschen klare Verhältnisse. Ich bin der Leader und kann die Rennen auf meine Art bestimmen.

VELO: Ist das der einzige Grund für ihre guten Resultate?

ZBERG: Nein. Momentan stimmt alles: die Beziehung zu meiner Freundin, das Umfeld zu Hause. Dazu hatte ich das Glück, weder einen Unfall zu haben noch krank geworden zu sein. Das motiviert ungemein.

VELO: Sie sind momentan sehr erfolgreich – im Gegensatz zu ihrem Bruder Beat, der schon wesentlich länger im Profigeschäft tätig ist. Führt das zu Spannungen?

ZBERG: Er hat Freude, dass es bei mir so gut läuft, genauso, wie ich mich an seinen Erfolgen freue. Wir haben ein sehr gutes Verhältnis zueinander und helfen einander in den Rennen, wenn immer es geht. Natürlich fahren wir nicht zusammen, denn wir sind in verschiedenen Teams. In einer rennentscheidenden Phase würden wir aber auch nicht gegeneinander fahren.

VELO: Fluchtgruppen in der Tour de Romandie und anderen Schweizer Rennen erweckten den Eindruck, Sie, Ihr Bruder und Oscar Camenzind teamübergreifend zusammen. Täuscht diese Impression?

ZBERG: Nein, wir haben eine sehr gutes Verhältnis untereinander. Letztes Jahr war ich sogar zusammen mit Osci (AdR. Oscar Camenzind) in den Ferien. Wir fahren bestimmt nicht gegeneinander, wenn es hart auf hart geht.

VELO: Und wie ist das Verhältnis zu Festina, zum Schweizer Block mit Alex Zülle, Laurent Dufaux, Fabian Jeker, Armin Meier und Bruno Boscardin?

ZBERG: Ich finde es beeindruckend, wie sich Festina präsentiert. Nehmen wir zum Beispiel die Tour de Romandie: Zülle befindet sich in einer heiklen Aufbauphase für den Giro d'Italia und dennoch opfert er sich kompromisslos für Leader Dufaux auf. Auch alle anderen: Jeker, Armin Meier und sogar Richard Virenque. Das beeindruckt mich sehr.

VELO: Was ist es genau, was Ihnen Eindruck macht? Ist es der Klassenunterschied?

ZBERG: Man kann es schlecht vergleichen. Zülle ist schon seit fünf Jahren an der Weltspitze, ein Star. Seine Ziele sind der Gesamtsieg bei Giro und Tour de France. Bei beiden Rundfahrten zählt er zu den Topfavoriten zählt. So weit kann ich noch nicht denken.

VELO: Ist Zülle ihr Idol?

ZBERG: In gewisser Weise ja. Er ist ein grosser Fahrer, der keine Allüren hat. Er ist immer nett und hat stets ein offenes Ohr. Im Feld ist der Respekt vor Zülle gross — auch wenn er nicht in Topform ist.

VELO: Im Spurt sind Sie jedoch nicht mehr weit von der Weltspitze entfernt.

ZBERG: Doch. Gegen die weltbesten Sprinter habe ich noch immer einen schweren Stand. Nur wenn die Zielgerade leicht ansteigt, kommt meine Chance, dann kann ich meine Stärken ausspielen. VELO: Äusserlich machen sie eher den Eindruck eines introvertierten Menschen. Woher kommt diese Aggressivität im Rennen?

ZBERG: Das ist mein Charakter. Ich kann mich völlig ins Rennen vertiefen. Das kommt nicht etwa durch mentales Training; das kommt einfach von innen. Ich versuche stets mein Bestes zu geben.

VELO: Und fahren dabei fast immer ein sehr aufmerksames Rennen. Es passiert selten, dass sich eine Fluchtgruppe ohne Sie bildet. Reine Taktik?

ZBERG: Auch. Dabei suche ich die Entscheidung nicht selber, sondern versuche das Rennen zu kontrollieren. Ich kenne meine Stärken und weiss, dass ich ein Rennen im Sprint gewinnen kann. Mein Sieg in Bern war ein gutes Beispiel dafür. Zur Taktik gehört, dabei möglichst kraftschonend vorzugehen. Man braucht dazu gute Nerven und muss auch mental stark sein, denn diese Fahrweise erfordert höchste Konzentration.

VELO: Haben Sie sich das selber beigebracht?

ZBERG: Nein, ich beobachte andere Fahrer wie Michele Bartoli. Dabei habe ich gemerkt, dass er sehr konzentriert fährt und mit möglichst geringem Kraftaufwand vorne dabei ist. Bartoli ist ein Meister auf diesem Gebiet.

VELO: Orientieren Sie sich ausschliesslich an den Leadern?

ZBERG: Nicht nur. Ich studiere auch die Topographie einer Strecke im Vorfeld des Rennens und achte darauf, woher der Wind bläst. Anhand dieser Angaben lässt sich in etwa abschätzen, wo Fluchtgruppen entstehen könnten. Ich fahre dann an diesen Stellen in den vordersten Positionen des Feldes.

VELO: Nach kurzer Zeit waren sie als Leader im Post Swiss Team voll akzeptiert. Wie erklären Sie sich das?

ZBERG: Diese Frage müsste man wohl eher den anderen Fahrern des Teams stellen. Aber ich glaube, wenn jemand zeigt, dass er Rennen gewinnen kann, kommt diese Akzeptanz automatisch. In einer anderen Rennsituation würde auch ich keinen Moment zögern, um für einen anderen Teamkollegen zu fahren.

VELO: Was ist das für ein Gefühl für Sie zu wissen, dass sich alle für einen einsetzen?

ZBERG: Es motiviert mich, noch besser zu werden und die Chancen noch besser auszunützen. Denn vom Hinterherfahren wird man nicht besser.

VELO: Nach dem Aufstieg in die nächsthöheren Kategorien hatten Sie nie auf Anhieb Erfolg, ganz im Gegensatz zu ihrem Bruder. Worauf führen Sie das zurück?

ZBERG: Beat ist ein Perfektionist, der vielleicht etwas schneller lernt als ich. Nach dem Aufstieg zu den Eliteamateuren stellten sich jedoch auch bei mir recht schnell gute Resultat ein. Experimente im Training warfen mich dann allerdings wieder zurück. So habe ich mich 1995 auf die Weltmeisterschaften in Kolumbien konzentriert und die Trainingspläne entsprechend angepasst. Ich legte deshalb im Sommer eine Pause ein. Mein Pech, dass der Verband die Schweizer Meisterschaft, die zur WM-Qualifikation gehörte, ausgerechnet in dieser Pause angesetzt hatte. Meine guten Resultate vor der WM mit vier Siegen in Serie zeigten mir jedenfalls, dass ich mit meinen Vorbereitungen auf dem richtigen Weg gewesen bin. Für Aussenstehende ist mein Vorgehen vielleicht unverständlich. Ich habe mir jedoch gesagt: Solche Experimente muss man machen, solange man noch jung ist.

VELO: Wie würden Sie sich charakterisieren – im Vergleich zu ihrem Bruder?

ZBERG: Er ist eher der Perfektionist, ich der Lebemensch. Beat kann sich kompromisslos auf ein Ziel vorbereiten, während ich zwischendurch Abwechslung brauche. Für mich ist Spass und Ablenkung ein wichtiger Aspekt – besonders in diesem anforderungsreichen Metier.

VELO: Wie lenken Sie sich ab?

ZBERG: Es macht mir überhaupt nichts aus, am Vorabend eines Rennens ins Kino zu gehen oder etwas zu essen, das nicht im Ernährungsplan eines Radprofis steht. Ich quäle mich nicht mit Trainings- und Ernährungsgrundsätzen.

VELO: Werden Sie ihren Vertrag beim Post Swiss Team für die kommende Saison verlängern?

ZBERG: Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Sicher ist für mich einzig, dass ich mich heuer früher als im letzten Jahr für ein Team entscheiden werde, damit keine Hektik mehr aufkommt. Wie mein Entscheid auch ausfallen wird - ich werde versuchen, mir ein möglichst gute Ausgangslage für die Zukunft zu schaffen.

VELO: Nach diesen Resultaten sind doch bestimmt schon Anfragen anderer Teams bei Ihnen eingetroffen?

ZBERG: Konkrete Angebote sind noch keine bei mir eingetroffen. Klar, wenn man Erfolg hat, steigt auch das Interesse bei den Sportlichen Leitern. Ich hoffe, das wird auch noch so sein, wenn ich nicht mehr so erfolgreich bin.

VELO: Mit den Erfolgen kommen auch die Medien – mit welchen Erfahrungen?

ZBERG: Ich hatte schon immer Kontakte zur Presse, aber noch nie in diesem Ausmass wie jetzt. Es ist natürlich schön, wenn die Medien sich für einen interessieren. Das zeigt, dass man auf dem richtigen Weg ist.

VELO: Was sind Ihre weiteren Ziele für 1998?

ZBERG: Schweizer- und Weltmeisterschaft und die Vuelta – falls unsere Mannschaft zugelassen wird.

VELO: Die Vuelta wäre Ihre erste dreiwöchige Rundfahrt. Wie würden sie dieses Ziel angehen?

ZBERG: Ich würde nach der Schweizermeisterschaft eine längere Pause einlegen und mich auf die Vuelta neu aufbauen – auch im Hinblick auf die WM. Wenn wir nicht zur Spanienrundfahrt zugelassen werden, weiss ich noch nicht, was ich nach der nationalen Meisterschaft mache. Das hängt auch davon ab, in welcher Mannschaft ich im kommenden Jahr fahre.

VELO: Also haben Sie doch konkrete Angebote von anderen Radsportteams?

ZBERG: Nein. Mein Verbleiben im Post-Team ist an gewisse Bedingungen geknüpft. Ich möchte nächstes Jahr wieder in einer Erstdivisionsmannschaft fahren. Es kommt darauf an, ob die Post Interesse bekundet. Denn ein solches Engagement wäre auch mit einer weiteren Aufstockung des Budgets verbunden.

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