Der Rekrut
In diesem Jahr wird Stefan Rütimann gerade mal 20 Jahre alt – und dennoch gehört er bereits zu den besten Elitefahrern der Schweiz. Ein Portrait des momentan grössten Nachwuchstalents.
Die Szene, die sich vergangenes Jahr bei der militärischen Aushebung von Stefan Rütimann abgespielt hat, kriegt je länger denn mehr anekdotischen Charakter. Rütimann wollte in die Radfahrerkompagnie eingeteilt werden, doch das Urteil der militärischen Oberen fiel niederschmetternd aus. "Herr Rütimann", hiess es damals, "sie sind zu leicht und zu schwach." Der Betroffene kann hierzu nur schmunzeln: "Immerhin war ich ein Jahr zuvor Dritter derJunioren-Weltcupwertung geworden, und den Ausweis des Schweizerischen Olympischen Verbandes hatte ich auch dabei." Nun wird Rütimann ab Mitte Juli in einer anderen Einheit unterwegs sein. Zu leicht und zu schwach also, um radfahren zu können – hättten sich die Verantwortlichen Ende März das Strassenrennen in Lancy angeschaut, sie würden den Irrtum bemerkt haben, den sie mit dieser Qualifikation begangen hatten.
Am Start befand sich die gesamte Schweizer Elite, einzig das Post Swiss Team fehlte. Rütimann gewann den Spurt einer sieben Fahrer umfassenden Spitzengruppe – und war am Schluss gleich selbst überrascht. Immerhin war es sein erster Sieg als U23-Fahrer. Letztes Jahr reichte es für ein paar vordere Klassierungen, doch schon da war es absehbar, dass Spitzenrangierungen nur noch eine Frage der Zeit sein würden. Rütimann, der bereits in der Juniorenklasse zur nationalen Spitze gehört hatte, bestritt 1997 eben seine erste Saison als U23-Fahrer – mit dem Ziel, "so schnell wie möglich gut zu werden", so Rütimann. Er schloss sich deshalb der Schaller-Formation an und bestritt die Saison zusammen mit Sven Montgomery, mittlerweilen Profi im Post Swiss Team. Schaller deshalb, weil "ich in ein kleines Team wollte, wo ich jene Rennen fahren kann, die ich will und keinem Erfolgsdruck ausgesetzt bin", erklärte Rütimann seinen Entscheid. Zwar ging er mit diesem Schritt das Risiko ein, gewisse Rundfahrten nicht bestreiten zu können. Solche Gedanken beschäftigten damals Rütimann indes nicht . "Wenn ich nicht erfolgreich bin, macht's eh keinen Unterschied, ob ich zu einem grossen oder kleinen Team gehe", findet der Sinser.
Inzwischen sei das Team aber viel professioneller geworden, er selber habe sich ziemlich anders auf die Saison vorbereitet. Im Vergleich zur Saison 1997 stieg er eineinhalb Monate zuvor wieder erstmals aufs Rad. Rund 10'000 Kilometer haben sich so zwischen dem 1. November 1997 und Ende April 1998 ergeben. Doch kaum haben sich die Erfolge eingestellt, muss Rütimann wieder kürzertreten. Erst standen im Juni die Lehrabschlussprüfungen an, dann muss er für 15 Wochen in die Rekrutenschule einrücken – als Infanterist eben.
Doch Rütimann hat die Konsequenzen daraus gezogen: "Ich werde während dem Militärdienst keine Wettkämpfe bestreiten, sondern anfangs November wieder mit einem seriösen Aufbauprogramm beginnen." Rütimann hat ja wirklich allen Grund, dieser Pause mit Gelassenheit entgegen zu schauen, denn seine Zukunftsperspektiven sehen grossartig aus. Das bescheint ihm auch der Nationaltrainer Kurt Bürgi. Rütimann fehlen einzig noch die Erfahrungen an Rundfahrten, die länger als drei, vier Tage dauern. Aber dann, denkt Rütimann, sei er für eine Profikarriere vorbereitet.
Pascal Meisser