Ein Sturz als Karrieresprung
Michael Baumgartner ist der neue Junioren-Weltmeister im Radquer und Nachfolger von David Rusch - dank eines verhängnisvollen
Zwischenfalls vor eineinhalb Jahren. Ansonsten wäre "Michi", wie er geannt wird, wohl seinem Mountainbike treu geblieben.
Ein Rückblick auf den goldenen Moment des 18 Jahre alten Zürchers.
Es geschah im Sommer 1996: Am ersten Tag eines Trainingslagers war Michael Baumgartner
zusammen mit Kollegen auf dem Mountainbike unterwegs. In einer solchen Gruppe ist Übermut keine Seltenheit - und so blieb
Baumgartner prompt mit dem Vorderrad in einem Erdloch stecken.
Beim Sturz über den Lenker brach er sich beide Handgelenke. Seither
fährt er nur noch mit dem Rennrad auf der Strasse — oder Querfeldein.
Heute lacht der 18jährige Junior über das Malheur. «Vielleicht war es
ein Zeichen des Himmels», sagt er nach dem Gewinn des
Junioren-Weltmeistertitels im dänischen Middelfart. Denn Strassenrennen
seien eine ideale Radquer-Saisonvorbereitung. Während des WM-Rennens,
das durch den gefrorenen Boden extrem schnell war, zweifelte der
Oberdürntner allerdings noch an seinen Fähigkeiten: «Auf der letzten
halben Runde dachte ich, jetzt kann ich nicht mehr Weltmeister werden.
Ich hätte nie geglaubt, dass das Feld so lange zusammenbleibt. Das
Gerangel um die Positionen war brutal.»
Dann setzte Baumgartner alles auf eine Karte und griff in der letzten
Laufpartie an. Offenbar genau im richtigen Moment. Denn der bis zu
diesem Zeitpunkt das Rennen prägende Stefano Toffoletti konnte nicht
mehr kontern und musste sich mit dem zweiten Platz begnügen. Einmal
mehr, denn der Italiener war bereits im Vorjahr Vizeweltmeister geworden
und liess mit seiner Fahrweise keinen Zweifel aufkommen, dass er sich
diesmal nur mit der Goldmedaille zufrieden geben würde. Baumgartner
seinerseits agierte taktisch klug und hielt sich wegen des Windes eher
im hinteren Teil des Feldes auf anstatt wie Toffoletti an der Spitze für
Tempo zu sorgen. Bewusst suchte der Schweizer die Entscheidung zu Fuss,
denn sprinten gehöre nicht zu seinen Stärken, wie er beim
Siegerinterview freimütig zugibt.
18 Strassenrennen hatte Baumgartner während des Sommers bestritten. Das
habe ihm die nötige Härte für die Radquer-Saison gegeben, sagt der
angehende Hochbauzeichner. Die gewissenhafte Vorbereitung unter der
Obhut des neuen Schweizer Juniorennationaltrainers Martin Müller blieb
freilich nicht ohne Ergebnis: Zwei Laufsiege im Junioren-Querweltcup in
Solbiate und Beauchateau sowie der Gewinn des nationalen Meistertitels
kündigten die aufsteigende Form Baumgartners an. Dazu kommt ein
weiterer, entscheidender Vorteil: Baumgartner lernt im Betrieb seines
Vaters Hochbauzeichner, hat somit einen seiner grössten Fans als
Lehrmeister. Und deswegen kann das Talent auch schon einmal etwas länger trainieren, ohne gleich einen Rüffel des Chefs
befürchten zu müssen.
Baumgartner ist nach Roman
Peter und David Rusch bereits der dritte Schweizer
Juniorenquerweltmeister in Folge. Nun setzt er allerdings wieder auf die Strasse, will jedoch damit noch bis Mai warten.
Ein Weltmeister braucht schliesslich auch seine Erholung. Nachwuchstrainer Müller hat nun genug Zeit zu überleben, welcher
seiner Fahrer diese weltmeisterliche Juniorenserie auch 1999 fortsetzen könnte.
Martin Platter